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Gericht: Finanzgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 10.09.2004
Aktenzeichen: 3 K 1810/03
Rechtsgebiete: AO, EStG 1996


Vorschriften:

EStG 1996 § 46 Abs. 1
EStG 1996 § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8
AO § 110
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tatbestand

Streitig ist, ob der Beklagte verpflichtet ist, für den Kläger noch eine Einkommensteuerveranlagung für das Jahr 1996 durchzuführen.

Der 1960 geborene, ledige Kläger ist von Beruf Diplom-Volkswirt und war als solcher im Streitjahr 1996 bei der Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft ... in F beschäftigt. In den Jahren 1993 bis 1996 bereitete er sich auf die Steuerberaterprüfung vor, die er aber nicht bestand (vgl. Bl.21 Prozessakten -PA-).

Am 30. Dezember 2002 reichte der Kläger die Einkommensteuererklärung 1996 ein. Mit Bescheid vom 3. Januar 2003 lehnte der Beklagte die Einkommensteuerveranlagung ab, da der Antrag nach Ablauf der Abgabefrist eingereicht worden sei und keine Wiedereinsetzungsgründe i. S. d. § 110 AO vorlägen (Bl. 25 EStA 1996). In einem Telefonat erläuterte der Beklagte dem Kläger offenbar, dass es sich um eine Antragsveranlagung nach §46 Abs. 2 Nr. 8 EStG handele und die hierfür vorgesehene Frist für die Einreichung des Antrags auf Veranlagung zur Einkommensteuer, die nur zwei Jahre betrage, für den Veranlagungszeitraum 1996 am 31. Dezember 1998 abgelaufen sei (vgl. Bl.26 EStA 96).

Gegen die Ablehnung legte der Kläger Einspruch ein, den er im wesentlichen wie folgt begründete (Bl. 26 f., 32 f. EStA 1996):

Seit er berufstätig sei, habe er - bis auf seine Erstveranlagung 1991 - noch nie eine Einkommensteuerveranlagung beantragt, sondern sei immer durch den Beklagten mittels Erinnerung und Androhung von Zwangsgeld zur Abgabe der Einkommensteuererklärung aufgefordert worden. Er habe auch noch nie vom Beklagten eine schriftliche oder mündliche Belehrung darüber erhalten, dass sich an diesem Status etwas geändert haben könnte. Davon, dass § 46 Abs. 1 EStG ab dem Veranlagungszeitraum 1996 ersatzlos gestrichen worden sei, habe er erstmals in dem Telefonat mit dem Beklagten am 16. Januar 2003 erfahren; bis dahin sei ihm nur die 7-Jahresfrist für die Festsetzungsverjährung von Steuererklärungen bekannt gewesen. Selbst in dem "kleinen Ratgeber 1996 für alle Lohnsteuerzahler" sei auf Seite 29, auf der die Pflichtveranlagung 1996 geregelt sei, noch ein falscher Gesetzestext abgedruckt, nämlich der des Jahres 1995. Auch hier sei kein Hinweis vermerkt, dass sich für 1996 noch etwas ändern könnte. Herausgeber des Heftchens seien das Bundesministerium der Finanzen und die obersten Steuerbehörden der Länder. In der Anleitung zur Einkommensteuererklärung 1996 seien wesentliche Änderungen gegenüber der Anleitung 1995 durch senkrechte Linien am Blattrand gekennzeichnet. Bei der Erklärungspflicht des Jahres 1996, in der in 1995 noch der § 46 Abs. 1 EStG ausgeführt gewesen sei, sei allerdings kein Strich gemacht worden. Hinweise seien ebenfalls keine gemacht worden. Bei einer Gesetzesänderung mit derart gravierenden Folgen hätte vom Beklagten mindestens für das Jahr der ersten Anwendung, 1996, eine schriftliche oder mündliche Belehrung von Amts wegen erfolgen müssen. Da mithin §46 Abs.2 Nr.8 EStG nicht anwendbar sei, laufe die Festsetzungsfrist gemäß §170 Abs.2 Nr.1 Alt.2 i.V.m. §169 Abs.2 Nr.2 Alt.1 AO erst mit Ablauf des Jahres 2003 ab.

Der Beklagte wies den Einspruch durch Einspruchsentscheidung vom 30. April 2003 mit im Wesentlichen folgender Begründung als unbegründet zurück (Bl. 36 ff. EStA "EE zur ESt 1996"):

Die Frist zur Abgabe des Antrags auf Veranlagung zur Einkommensteuer 1996 habe mit Ablauf des Kalenderjahres 1998 geendet. Der Antrag des Klägers, der erst am 30. Dezember 2002 beim Beklagten eingereicht worden sei, sei daher verfristet. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 110 AO seien nicht ersichtlich, da den Kläger hinsichtlich der Fristversäumnis ein Verschulden treffe. Allein die Tatsache, dass durch den Beklagten eine nicht vorgeschriebene Fristbelehrung unterblieben sei, stelle für sich allein keinen Wiedereinsetzungsgrund dar, denn es müsse ein entschuldbarer Irrtum über den Fristablauf vorliegen, was nicht der Fall sei. Die Änderung des § 46 EStG (Wegfall des Abs. 1) durch das Jahressteuergesetz 1996 sei durch Medien und Pressemitteilungen öffentlich bekannt gegeben worden. Es habe somit im Interesse des Steuerpflichtigen gelegen, sich ggf. näher beim Finanzamt darüber zu informieren. Auch werde jeweils zum Jahresende durch Presseveröffentlichungen an den Ablauf der Zweijahresfrist bei Antragsveranlagungen erinnert. Der Kläger sei darüber hinaus von Beruf Diplom-Volkswirt und im Jahr 1996 bei einer Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft angestellt; außerdem habe er sich in den Jahren 1993 bis 1996 auf die Steuerberaterprüfung vorbereitet. Aufgrund seiner vorgenannten beruflichen Qualifikation sei davon auszugehen, dass ihm die gesetzlichen Änderungen und Abgabepflichten bekannt seien. Unabhängig davon komme ein Antrag auf Wiedereinsetzung gem. § 110 Abs. 3 AO auch nur innerhalb eines Jahres nach Ablauf der gesetzlichen Frist in Betracht, außer wenn dies - wofür hier nichts spreche - infolge höherer Gewalt vor Ablauf der Frist unmöglich gewesen sei.

Am 1. Juni 2003 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung wiederholt er zunächst seinen Vortrag aus dem Einspruchsverfahren und trägt ergänzend im Wesentlichen vor (Bl. 9 Prozessakte - PA -):

Auf die Steuerberaterprüfung habe er sich von 1994 bis 1996 vorbereitet. Bekanntlich seien aber immer nur die Regelungen des vorgehenden Jahres (d. h. 1995) prüfungsrelevant. Zudem hätte angesichts der gravierenden Folgen für einen Großteil der Bevölkerung eine Übergangsregelung von 1 bis 2 Jahren geschaffen werden müssen. Dass er sich hinsichtlich der Abgabefrist für 1996 nicht beim Finanzamt erkundigt hätte, sei darauf zurückzuführen, dass er hinsichtlich des Einkommensteuerbescheids 1995 Klage zum Finanzgericht erhoben habe und sich der Streitpunkt in gleicher Weise auch für 1996 gestellt habe, so dass er davon ausgegangen sei, dass das Finanzamt ihm für 1996 keine Erinnerung schicken würde, bis die Frage durch das Finanzgericht geklärt sei. Der Hinweis des Beklagten auf die "Anleitung zur Einkommensteuererklärung" gehe ebenfalls fehl. Denn auf dieser Anleitung habe nichts anderes gestanden als im Jahr zuvor, außer, dass überall ein Jahr hinzuaddiert worden sei.

Zudem sei das Gespräch mit der Sachbearbeiterin am 16. Januar 2003 dergestalt abgelaufen, dass er sich von ihr die Antragsveranlagung habe erklären lassen; als er ihr gesagt habe, dass er davon noch nie gehört habe und darauf auch noch nie hingewiesen worden sei, sei eine kurze Pause entstanden und dann habe die Bearbeiterin geantwortet, dass im EDV-System bei ihm auch kein Kennzeichen gesetzt sei, dass eine solche Information stattgefunden habe; vermutlich hätte man aber nur vergessen, dieses Zeichen zu setzen. Er habe darauf geantwortet, dass das Kennzeichen bislang zu Recht nicht gesetzt worden sei, da er nie vom Finanzamt informiert worden sei. Möglicherweise - so der Kläger weiter - seien also die Bürger doch über das neue Recht informiert worden.

Der Kläger beantragt,

den Ablehnungsbescheid vom 3. Januar 2003 sowie die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 30.April 2003 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die Veranlagung zur Einkommensteuer 1996 entsprechend der Einkommensteuererklärung durchzuführen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung bezieht er sich zunächst auf die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung und trägt ergänzend vor (Bl. 14 f. PA):

Wiedereinsetzung könne grundsätzlich nur gewährt werden, wenn sich der Irrtum des Klägers auf die Dauer der Ausschlussfrist beziehen würde. Beziehe sich dagegen - wie hier - der geltend gemachte Rechtsirrtum auf die Existenz der Vorschrift des § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG als solcher, liege regelmäßig kein unverschuldeter Wiedereinsetzungsgrund vor, weil es sich insoweit um einen Irrtum über das materielle Recht handele. Denn zur Allgemeinverbindlichkeit eines ordnungsgemäß zustande gekommenen Bundesgesetzes reiche gem. Art. 82 Abs. 1 Satz 1 GG seine Verkündung im Bundesgesetzblatt aus. Eventuelle Informationsmängel über das geltende Recht gingen daher regelmäßig als Fahrlässigkeitsfehler zu Lasten des Bürgers.

Etwas anderes könnte allenfalls gelten, wenn der Irrtum des Steuerpflichtigen über das materielle (Steuer-)Recht gerade durch das Verhalten des Finanzamts hervorgerufen worden sei. Das sei hier jedoch nicht der Fall. Wie der Kläger selbst vortrage, habe der Beklagte in der Vergangenheit bei jeder noch so kleinen zeitlichen Überziehung des Abgabentermins sofort erinnert bzw. Zwangsgeld angedroht. An die Abgabe der Einkommensteuererklärung 1996 habe der Beklagte hingegen nicht erinnert. Es hätte deshalb eine frühzeitige Rückfrage für den Kläger beim Beklagten nahegelegen. Abgesehen davon sei der Kläger sehr wohl in der "Anleitung zur Einkommensteuererklärung 1996" (Bl.41 EE zur EStA 96) über die neue Rechtslage unterrichtet worden, denn diese enthalte im Kopf in Fettdruck den Hinweis auf die "Abgabefrist":

"Einkommensteuererklärung

-wenn sie zur Abgabe verpflichtet sind: bis 31. Mai 1997

-wenn sie die Veranlagung beantragen: bis 31. Dezember 1998".

Darüber hinaus seien auf Seite 1 der Anleitung unter der 3. und 4. Überschrift (in grüner Farbe) alle erforderlichen Informationen gegeben worden. Hätte der Kläger entsprechend der von ihm behaupteten Vorstellung, zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung verpflichtet zu sein, gehandelt, dann hätte er bis 31. Mai 1997 die Einkommensteuererklärung abgeben oder jedenfalls Fristverlängerung beantragen müssen.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg. Zu Recht hat der Beklagte es abgelehnt, den Kläger für das Streitjahr 1996 noch zur Einkommensteuer zu veranlagen.

1. Gemäß §46 Abs.2 Satz 1 Nr.8 EStG in der für 1996 gültigen Fassung wird, wenn, wie hier im Fall des Klägers, das Einkommen ganz aus Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit besteht, von denen bereits ein Steuerabzug vorgenommen worden ist, eine Veranlagung zur Einkommensteuer nur durchgeführt, wenn sie beantragt wird; dabei ist der Antrag bis zum Ablauf des auf den Veranlagungszeitraum folgenden zweiten Kalenderjahrs durch Abgabe einer Einkommensteuererklärung zu stellen. Bei dieser Frist handelt es sich um eine nicht verlängerbare Ausschlussfrist (z.B. BFH, Urteil vom 3.Juni 1986 IX R 121/83, BStBlII 1987, 421). Danach lief die Frist für die Abgabe der Einkommensteuererklärung 1996 am 31.Dezember 1998 ab; die erst am 30.Dezember 2002 beim Beklagten eingegangene Erklärung für 1996 war daher verfristet.

2. Zu Recht hat der Beklagte es auch abgelehnt, dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach §110 AO zu gewähren. Dies ergibt sich schon aus §110 Abs. 3 AO, demzufolge nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt oder die versäumte Handlung nicht mehr nachgeholt werden kann, außer wenn dies vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war. Da Anhaltspunkte für das Vorliegen höherer Gewalt weder vorgetragen noch sonst ersichtlich sind, erfolgte die Abgabe der Einkommensteuererklärung am 30.Dezember 2002 auch außerhalb der Jahresfrist des §110 Abs.3 AO, die bereits am 31.Dezember 1999 abgelaufen war. Deshalb kommt es nicht darauf an, ob den Kläger an der Versäumung der Frist ein Verschulden trifft oder der Beklagte Aufklärungspflichten verletzt hat, auch wenn dies von den Beteiligten ausführlich erörtert wurde.

Abgesehen davon ist der Senat auch der Ansicht, dass den Kläger an der Versäumung der Ausschlussfrist des §46 Abs.2 Satz1 Nr.8 EStG ein Verschulden trifft. Zu Unrecht macht der Kläger geltend, dass ihn der Beklagte auf die Änderung der Rechtslage, derzufolge der Kläger für das Streitjahr 1996 nicht mehr pflichtveranlagt wurde, hätte hinweisen müssen. Diese Verpflichtung bestand für den Beklagten auch nicht etwa deshalb, weil die Parteien hinsichtlich der Einkommensteuerveranlagung 1995 in einem umfangreichen Schriftwechsel standen. Denn die Veranlagung 1995 hat nichts zu tun mit der Veranlagung für 1996. Zutreffend weist der Beklagte darauf hin, dass sich der Kläger, der bislang - selbst eigenen Angaben zufolge - außer im Jahr der Erstveranlagung Erklärungen immer erst nach Mahnungen oder Erinnerungen des Beklagten abgegeben hat, angesichts des Umstands, dass er an die Abgabe der Erklärung für 1996 nicht erinnert wurde, beim Beklagten hätte erkundigen können und müssen, ob sich ggf. hinsichtlich seiner Abgabeverpflichtung etwas geändert hat, bzw. dies - bei seiner Ausbildung (Vorbereitung auf die Steuerberaterprüfung) - durch einen kurzen Blick in das geltende Gesetz hätte überprüfen können und müssen. Dass er sich deshalb beim Beklagten nicht erkundigt habe, weil er geglaubt habe, der Beklagte schicke ihm deshalb keine Erinnerung, weil für 1995 ein Rechtsstreit beim Finanzgericht anhängig war, der eine Streitfrage betraf, die sich auch 1996 gestellt hätte, kann ihn nicht entschuldigen, zumal eine Erinnerung auch nach Ergehen des Urteils im Juli 2000 nicht erfolgte.

Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass in der "Anleitung zur Einkommensteuererklärung" für 1996 kein ausdrücklicher Hinweis auf die Änderung der Rechtslage durch Wegfall des §46 Abs. 1 EStG enthalten ist. Dabei kann dahinstehen, ob diese "Anleitung" für den steuerlichen Laien ausreichend übersichtlich ist (dies verneinend z.B. FG Niedersachsen, Urteil vom 10.Dezember 2003 - 4 K 508/01, EFG 2004, 506). Denn der Kläger ist kein steuerlicher Laie. Vielmehr hat er sich - auch gerade im Streitjahr 1996 - (wenn auch mehrfach erfolglos) auf die Steuerberaterprüfung vorbereitet. Jedenfalls in einem solchen Fall kann erwartet werden, dass er sich - ggf. jedes Jahr erneut - durch einen Blick in einen geltenden Gesetzestext vergewissert, ob er unter die Pflichtveranlagung fällt oder nicht.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §135 Abs. 1 FGO.

Ende der Entscheidung

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